WERKSTATT 1

Forum neue Musik Luzern, Baselstrasse 21 Luzern mit Judith Huber, Jens Nielsen, Manuel Kaufmann, Manuel Berger
Dauer: ca zwei Stunden. 21.04.2018
Fotografie: Daniel Häller

«Man kann das Leben nicht essen»

 

Zentralschweiz am Sonntag, Seite 21, 22.04.2018 –

Was geht ab, wenn viele laut kauen und eine leise Kartoffeln schält? Ein Küchenkonzert.

Zuerst ist es ganz still in der Werkstatt Augustin am Freitagabend. Knapp 30 Menschen sehen einer Frau beim Schälen von Kartoffeln zu. Einer schlicht gekleideten Frau bei einer schlichten Tätigkeit – vor sich hat Performerin Laura Laeser einen langen Tisch und viele Kartoffeln. Jede geschälte Kartoffel kommt in ein Glas mit Wasser, das auf ein Regal gestellt wird. Jedes Glas, jede Kartoffel eine andere Form.

Das Schöne an Performance: Man beginnt zu denken. Sind die Kartoffeln ein Bild für die schweigenden Gäste – ein jeder in seinem Wasserglas? Und, o Schreck: Gibt es heute bei der «Werk.Statt I» des Forums Neue Musik Luzern nur Kartoffeln zu essen?

Versprochen ist ein Abend mit Koch- und Klangkunst. Für die Klangkunst zuständig: die Performerinnen Laura Laeser und Judith Huber sowie Performer und Autor Jens Nielsen. Für die Kochkunst zuständig: die Köche Manuel Kaufmann und Manuel Berger. Natürlich ist auch das Publikum mit in der Verantwortung für den Klang: Wenn es
leise spricht, laut auf Cracker beisst (Vorsicht, Absicht!) oder unvermutet Geräusche macht, weil es Judith Huber
ausweichen muss, die zwei lange Hölzer gekonnt auf ihren Schultern durch den Raum balanciert. Ganz leise.

Wogegen der Ventilator in der Werkstatt schon beinahe laut anmutet. Selbst die Kartoffeln werden hörbarer geschält als die Hölzer balanciert.

Gäste tauen auf und machen mehr und mehr Klang
Der erste Satz, der in die wartende Stille fällt, kommt von Jens Nielsen: «www.positivkochen. org». Genau, da hantieren doch zwei gut gelaunte Köche gegenüber der Kartoffelschälerin. Ein Gast flüstert zum anderen: «Sie hat nicht so viele Gläser wie Kartoffeln.» Der andere: «Irgendwie beruhigend.» Dann begrüsst Urban Maeder die Gäste zu einem «kostbaren Abend».

Ein gutes Bild, das sich erfüllt. Mit den servierten vier Gängen von Kartoffelsuppe über Poulet an Kräutervinaigrette bis zu Pannacotta an Zitronenschaum tauen die Gäste auf und machen mehr und mehr Klang. In Topform ist Wortkünstler Jens Nielsen, der Ironie einstreut: «Man kann das Leben nicht essen.» Und immer wieder fragt: «Wann kommt der Vogel?» Bis das Poulet gereicht wird. Ohne Worte. Aber total bewusst. Man kann das Leben nicht essen, aber den Abend kosten (und hören), das schon. (sh)